Bruno Kreisky Stiftung

für Verdienste um die Menschenrechte

Kreisky-Preisträgerin: Kampf für Frauenrechte „noch nicht gewonnen“

APA Mo, 10.Jun 2013

Durch Engagement von Kreisky-Menschenrechtspreisträgerin Gebre weibliche Genitalverstümmelung in Äthiopien kaum mehr
vorhanden

Wien (APA) – Die äthiopische Frauenrechtsaktivistin Bogaletch Gebre wird am heutigen Montagabend für ihren Einsatz im Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung in ihrem Heimatland mit dem Bruno-Kreisky-Menschenrechtspreis geehrt. „Wir machen Fortschritte“, sagte sie der APA im Hinblick auf die globale und die äthiopische Frauenrechtslage. „Aber den Kampf haben wir noch nicht gewonnen.“ Durch ihren Einsatz und die Arbeit ihrer Gruppe „Kembatti Mentti Gezzimma“ (KMG) konnte die Zahl der Opfer von Genitalverstümmelung laut einer Studie des UNO-Kinderhilfswerk UNICEF aus dem Jahr 2008 beinahe auf null gesenkt werden.
Die Gruppe nahm ihre Arbeit im Jahr 2000 auf und setzte sich Bewusstseins- und Aufklärungsarbeit zu den Risiken des Eingriffs für die betroffenen Mädchen innerhalb von dörflichen und städtischen Gemeinschaften zu Ziel. „Wir begaben uns in lange Diskussions- und Reflexionsprozesse mit den Gruppen“, erzählte Gebre. Wichtig sei bei der Arbeit, dass sowohl Männer als auch Frauen jeglichen Alters in den Prozess eingebunden seien. „Zusätzlich dazu hatten wir bei den Gesprächsrunden auch zwei Personen dabei, die grundlegende Fakten zum Thema lieferten. Etwa, dass weder in der Bibel noch im Koran etwas über Genitalbeschneidung steht, welche Risiken die Beschneidung für Mädchen birgt und dass schon viele daran gestorben sind.“ In Äthiopien sei die gängige Methode das Wegschneiden der Klitoris sowie der inneren und der äußeren Schamlippen gewesen.
„Wir haben einen wochenlangen Diskussionsprozess bei den Gruppen zugelassen, bis sie selbst zu dem Ergebnis kamen, dass man diese Praxis beenden müsse“, erklärte Gebre. So habe einmal ein 14-jähriges Mädchen gesagt, dass ihre Eltern sie doch beschützten und um ihre Gesundheit bemüht seien. „Sie dürfen mir doch nichts zuleide tun“, soll sie gesagt haben. „Wenn sie mich verletzen, dann ist das eine Kultur des Tötens.“ Laut Gebre sei Genitalbeschneidung jedoch weder eine äthiopische noch afrikanische Tradition. „Ich weiß nicht, woher das Phänomen kommt“, sagte sie. Auf der Hand liege, dass es dazu diene, in einem patriarchalen System Frauen zu kontrollieren und gefügig zu machen, und sie ihrer sexuellen Lust zu berauben.
Es sei ein großes Missverständnis im sogenannten Westen, dass Mütter ihren Töchtern Leid zufügen wollten, kritisierte Gebre. „Keine Mutter der Welt möchte ihre Tochter verletzen. Sie denken bloß, es sei ihr Pflicht, oder dass ihre Religion, das von ihnen verlange“, erklärte sie. Traditionell gelte die Beschneidung oft als Hochzeitsvorbereitung.
Bereits zwei Jahre nach Aufnahme der Tätigkeiten der Organisation konnte der erste große Erfolg verbucht werden: Ein junges Paar entschloss sich zu heiraten. „Sie war unbeschnitten und die beiden feierten ihre Hochzeit in aller Öffentlichkeit“, schilderte Gebre erfreut. „Insgesamt waren 3.000 Gäste gekommen und die religiösen Führer segneten die Ehe vor den Augen aller ab.“ Daraufhin sei eine Art Wettbewerb in der Nachbarschaft entstanden: „Plötzlich wollte jeder eine unbeschnittene Frau heiraten“, so die Preisträgerin.
„Ich weiß nicht, ob ich den Kampf gewonnen habe. Wir verbuchen Erfolge in den Gemeinschaften“, sagte Gebre. „Aber es gibt zusätzlich zur Beschneidung zahlreiche Bereiche, in denen die Rechte der Frauen verletzt werden.“ Die Arbeit sei erst getan, wenn Frauen die gleichen Rechte und Freiheiten sowie den gleichen Wert wie Männer besitzen würden. „Ich hoffe, dass Gewalt gegen Frauen im Namen der Tradition eines Tages aufhört“, sagte Gebre. Jede menschenrechtsverletzende Kultur sei ein System, dass im 21. Jahrhundert nicht mehr akzeptiert werden dürfe.
(Das Interview führte Mona El Khalaf/APA)